Antwort: „Militanz – Theorie und Praxis Militanter Aktionen“

ein weiterer Text ist aufgetaucht:

Dieser Text soll ein Beitrag zur Fortsetzung der angefangenen Debatte „Militanz – Theorie und Praxis Militanter Aktionen“ sein. Es ist wichtig, diese Debatte im Kontext aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen zu führen. Es reicht nicht aus, auf vergangene Diskussionen zu verweisen, da zu diesen wenige Bezugspunkte vorhanden sind. Dennoch soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass autonome Zeitschriften in Archiven zugängig sind, die viele unserer Fragen erörtern. In diesem Text sollen drei Themen behandelt werden, die im Workshop aufgetaucht sind.

Erstens die Frage nach der Vermittelbarkeit von militanten Aktionen, also ob eine Aktion für die Masse der Gesellschaft 1. nachvollziehbar sein muss und 2. von der Masse der Gesellschaft gut geheißen werden muss.

Zweitens soll sich mit der These auseinandergesetzt werden, dass mit militanten Aktionen nicht als Propaganda genutzt werden sollen, sondern lediglich direkt auf das angegriffene Ziel wirken sollen.

Drittens sollen noch ein paar Gedanken zur Begriffsdefinition der Militanz folgen. Ist Militanz eine Lebenseinstellung oder eine aktionisische Taktik?

Als praktisches Beispiel zur Bearbeitung dieser Fragen nehmen wir folgende Geschichte an:

Dein Freund, nennen wir ihn Arthur, wurde beim Schwarzfahren erwischt. Er hat richtig Stress deswegen. Erstens ist die Schwarzfahrgebühr zu teuer für ihn und zweitens gibt es in seiner Familie eine starke Abneigung gegen Schwarzfahrer, weswegen der zu erwartende Brief problematisch werden könnte. Für dich ist aber klar, dass Schwarzfahren politisch korrekt und sogar wünschenswert ist und das Verkehrsunternehmen ist sowieso komplett Arsch, weil durch und durch kapitalistisch. Du entschließt dich daher dazu, einen Fahrscheinautomat zu demolieren. Aber nicht ohne Widmung. Mit Sprühdose schreibst du auf die Seite: „Solidarität mit Arthur“ oder „Love Arthur, H8 Verkehrsunternehmen“.

1. Vermittelbarkeit

Vermittelbar ist eine Aktion, sobald mindestens ein Individuum der Gesellschaft die dahinter stehende Motivation nachvollziehen kann. Vermutlich wird Arthur bei seiner nächsten Fahrt mit besagtem Verkehrsunternehmen, die er zähneknirschend zahlt, den Fahrscheinautomaten entdecken. Er wird verstehen, wieso diese Aktion passiert ist. Somit ist die Aktion vermittelt.

Wenn wir davon ausgehen, dass diese Begebenheiten in der extremen Atmosphäre einer Stadt passieren, wo es außer zwei Leuten nur rechte Spießbürger gibt, dann war es das schon mit der Vermittelbarkeit. Dennoch kann die Aktion ein Erfolg gewesen sein. Nämlich dann, wenn Arthur sich durch dieses Zeichen der Solidarität darin bestätigt fühlt, weiter gegen die Zwänge der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand zu leisten.

Wenn wir andererseits davon ausgehen, dass es in besagter Stadt auch ein mehr oder weniger großes linksliberales Bürgertum, einige linksradikale Zusammenhänge und auch die ein oder andere kriminelle Jugendgang gibt, dann verhält es sich mit der Vermittelbarkeit anders. Auch wenn immernoch die meisten Leute skeptisch oder ablehnend sein werden, wird es einige geben, die die Aktion nachvollziehen oder sogar gutheißen können.

Der unwahrscheinlichste dritte Fall ist der, dass unsere Beispielstadt voll von anständigen Leuten ist, deren Mehrheit es als krasse Gewalt empfindet, wenn kapitalistische Verkehrsunternehmen die Leute ausbeuten. Dann muss man sich sowieso keine großen Sorgen um die Vermittelbarkeit machen. Außerdem hätte die Fahrscheinkontrolle von Arthur wahrscheinlich böse Folgen für die Kontrollettis gehabt.

Diese drei Fallbeispiele zeigen, dass die Vermittelbarkeit von Aktionen von den gesellschaftlichen Bedingungen abhängt, in denen sie stattfinden. Es lässt sich darüber reden, ob sich zum Beispiel das linksliberale Bürgertum im realistischsten der Beispiele durch die Aktion insgesamt eher unserer Sache zuwendet oder eher verschreckt wird, wenn sie vor dem zerstörten Fahrscheinautomaten stehen. Sollte man lieber weniger drastische Mittel nutzen, um ein freundliches Bild des Widerstandes zu vermitteln? Was werden dann aber die kriminellen Jugendgangs denken, wenn statt eines zerstörten Fahrscheinautomaten nur ein paar Flyer aus Solidarität herumgeschmissen werden? Und vor allem was werden unsere Feinde vom Verkehrsunternehmen von uns halten, wenn wir uns nur von unserer freundlichen Seite zeigen? Werden sie sich mit guten Argumenten beeinflussen lassen?

Und wir wollen noch ein Extrembeispiel nicht unerwähnt lassen. Angenommen wir haben niemanden, mit dem wir unsere Leidenschaft für die Freiheit offen und ehrlich teilen können. Angenommen, da ist kein Arthur und alles um uns herum ist voller rechter Spießbürger. Dann brauchen wir die Militanz vielleicht trotzdem, um uns selbst zu beweisen, dass wir nicht hilf- und wehrlos sind gegen diejenigen, die uns permanent Unterdrücken und Erniedrigen.

Das Fazit für das Thema Vermittelbarkeit könnte lauten: über die Richtigkeit von Aktionen entscheiden nur wir für uns selbst. Um unsere Ideen zu verbreiten, versuchen wir Aktionen zu vermitteln. Nicht aber an die Mehrheit oder die bürgerliche Presse, sondern an einen Teil der Gesellschaft, den wir bestimmen. Dabei muss aber nicht jede Aktion gleich gut oder an die selbe Gruppe vermittelbar sein.

2. Propaganda der Tat

Die These aus dem Workshop, dass dass es nicht das Ziel militanter Aktionen sein kann, Leute zu Werben, also entgegen dem Konzept der „Propaganda der Tat“ eine Aktion lediglich direkt auf das angegriffene Ziel wirken sollte, ist umstritten. Vermutlich geht es darum, dass Leute nicht durch die den Reiz der Zerstörung oder Gewalt zur Bewegung oder einer Überzeugung gebracht werden sollen sondern durch die Inhalte. Sondern deswegen, weil wir die selben Analysen der Gesellschaft und Theorien zur Befreiung teilen. Auf dieser Basis wäre es möglich, eine Strategie zu finden, um gezielte Schläge gegen Ziele in den Reihen des Feindes durchzuführen.

Das ist aber irgendwie eine militärische Logik. Es müsste ein „Wir“ und ein „Die“ definiert sein, was oft schwierig ist. Außerdem ist es falsch anzunehmen, dass es möglich ist, die Politik aus einer Aktion herauszuhalten. Selbst wenn in Kurdistan ein türkischer Panzer zerstört wird, gibt es neben der militärischen Komponente, die Sachschaden und Bodycount zwischen zwei Kontrahenten gegeneinander aufzuwiegen versucht, immernoch die politisch-propagandistische Wirkung. Die Kriegslogik, dass man nur effektiver zerstören muss als der Feind, ist abzulehnen. Viel wichtiger ist der Effekt, den eine Aktion in der Gesellschaft hervorruft. Sie kann einerseits unsere Leute motivieren und auf der anderen Seite unsere Feinde demoralisieren. Das umkämpfte gesellschaftliche Feld, das keiner der beiden Seiten klar zuzuordnen ist wird dadurch auch beeinflusst.

Im Fallbeispiel des Fahrscheinautomaten zeigt sich deutlich, dass die Wirkung auf das Ziel minimal ist. Das Verkehrsunternehmen ist ein millionenschwerer Konzern, der Automat ist versichert und sowieso gibt es davon sehr viele. Der eigentliche Effekt tritt nicht durch den materiellen Schaden sondern in der Gesellschaft ein. Auf unserer Seite, also bei uns und Arthur, wird das Gefühl gestärkt, das das staatliche Gewaltmonopol angreifbar ist. Die kriminellen Jugendgangs empfinden das auch als Bestätigung den Staat weiter zu verhöhnen. Bei den rechten Spießbürgern wird das Gefühl der Unsicherheit gestärkt und ebenso das Vertrauen in das Gewaltmonopol geschädigt. Im linksliberalen Bürgertum gibt es vielleicht einige, die durch die Atkion agitiert werden und einige die sich abwenden. Die propagandistische Wirkung tritt bei allen Aktionen ein, die publik werden. Genauso bei einem türkischen Panzer, der von der PKK abgeknallt wird, wie bei unserem Fahrscheinautomaten wie auch bei Sabotageaktionen gegen kritische Infrastruktur. Aber natürlich lässt sich darüber nachdenken, wo die Priorität liegt.

3. Lebenseinstellung oder Taktik?

Beim letzten Punkt schließen wir an die letzten Überlegungen an. Wer behauptet, Militanz sollte auf ein Ziel wirken, hierarchisiert, möglicherweise unbewusst, Aktionsformen. Sind Sprühen, Plakatieren, Texte schreiben und Diskutieren nicht genauso wichtige Aktionsformen wie Brandstiftung, Glasbruch und möglicherweise auch Panzerjagd in den türkisch besetzten Bergen? Eigentlich sollte doch unser ganzes Leben, auch das private, als politisch verstanden werden. Die Diskussion oder das Plakatieren als kommunikative Aktionsform sind Teil einer militanten Grundhaltung, die in Verbindung mit Angriffen auf ausgemachte Feinde darauf abzielen, die Gesellschaft zu revolutionieren. Wer letztendlich auch das soziale Leben darauf ausrichtet, die Macht und das Gewaltmonopol des Staates und des kapitalistischen Systems zu zerschlagen, der ist wirklich militant. Das Abspülen nach dem kollektiven Essen, dass nur darauf abzielt, unsere Kampfgemeinschaft zu stärken, ist manchmal militanter als so manch andere Aktion.

Falls dieser Text ein paar Denkanstöße geliefert hat oder dem Einen oder der Anderen an manchem Punkt vor den Kopf gestoßen hat, wäre es gut diese Debatte zunächst im kleinen und dann öffentlich weiterzuführen. Im Text, der den Anstoß dazu gegeben hat, sind außerdem auch noch einige interessante Fragen oder Thesen, die hier nicht behandelt wurden.

Kriminelle un(d)politische Diskussions-Chaoten